Dem Schicksal auf der Spur - von Karin Achleitner-Mairhofer
Familiäre Verstrickungen erkennen und lösen
Deine Vergangenheit ist nicht deine Zukunft, außer du lebst dort.
Karl Michael Pilsl
Vorwort
Wenn Sie auf viele der Fragen, die Ihr Leben aufwirft, Antworten suchen ... wenn Sie erkennen wollen, wie Schicksal entsteht ... wenn Sie auf der Suche nach neuen Perspektiven sind ... dann ist dieses Buch wahrscheinlich genau für Sie geschrieben.
Es soll Mut machen und dem Leser vor Augen führen, wie sich sein Schicksal formt und wie es möglich ist, dieses durch Bewusstwerdung und Erkenntnis selbst zu verändern. Schicksal wird oft als eine höhere Macht angesehen, die unabänderlich auf unser Dasein wirkt.
Wer aber schreibt wirklich die Geschichte Ihres Lebens?
Woher kommen unsere Erwartungen vom Leben?
Von wem haben wir gelernt, so über das Leben zu denken, wie wir es jetzt tun?
Wer hat uns gelehrt, die Welt mit den Augen zu sehen, mit denen wir sie sehen?
Wenn wir unser Schicksal oder unsere Erwartungen vom Leben verwandeln möchten, sind wir aufgefordert, hinter die Dinge zu schauen. Selbsterkenntnis ist der Weg, der zur größtmöglichen Freiheit führt. Sie leitet einen Menschen auf den Weg der Achtung, der Versöhnung, der eigenen Gedankenfreiheit und dies alles bestimmt sein Schicksal und sein Glück.
Alle Gedanken und Informationen, die Sie über sich gehört haben und die in Ihrer Familie gültig waren, sind wie auf einer Schallplatte als Rillen in Ihrem Unbewussten verankert. Während ein Kind heranwächst, akzeptiert es, was es über sich hört. Dabei ist es gleichgültig, ob das, was es hört, richtig oder falsch ist. Es ist mit den Gedanken und Lebensmodellen der Eltern verbunden. So entsteht im Gehirn eine Programmierung, wie wir über uns und das Leben denken. Auf Grund dieser Programmierungen wiederholen sich nicht nur eigene Gedanken und Handlungen, sondern auch die der Eltern. Viele Lebenseinstellungen bestehen aus destruktiven Gedanken, die wir weiter in unsere Selbstgespräche übernehmen.
Dadurch programmieren wir uns heute immer wieder auf die gleiche Art. Selbstverständlich haben auch die positiven Programme ihre Wirkung in unserem Leben. Dennoch wirken besonders die Programme, welche von uns abgelehnt werden. Jene Erfahrungen, auf die wir nicht ausgesöhnt zurücksehen können, haben den stärksten Einfluss auf unser Denken und unser Leben.
Wir werden überwiegend von dem geprägt, was wir erfahren haben. Es gibt Menschen, die ein sehr schweres Schicksal erfahren haben und dennoch ihr Leben kraftvoll meistern. Oft sind es Menschen, die durch schwierige Lebensbedingungen sehr früh für sich selbst verantwortlich sein mussten. Sie mussten bald in ihre eigene Kraft gehen. Andere wiederum bleiben in einer Opferhaltung, in Ängsten und im Vorwurf. Sie machen sich dadurch handlungsunfähig. Die Opferhaltung wird für diese Personen zum Schicksal, jedoch nicht, weil es eine höhere Macht so will, sondern weil diese Personen in ihrer Opferhaltung verharren.
Damit ein Mensch aus den Erfahrungen seiner Familie Kraft ziehen und sein Schicksal bewältigen kann, muss er erkennen, was durch die Familie auf ihn wirkt. Der Glaube an ein vorgegebenes Schicksal ist noch immer weit verbreitet. Ohnmacht und Hilflosigkeit dem Leben gegenüber wären dann die Folge. Da viele Menschen an einen genetisch vorgegebenen Charakter glauben, fühlen sie sich dadurch an ihre Verhaltensmuster und Gewohnheiten gebunden.
Die Geschehnisse der Vergangenheit lassen sich nicht mehr ändern. Wir können heute nur das, was war, annehmen. Erst wenn uns das gelingt, sind wir in der Lage, versöhnt zurück und nach vorne in die Zukunft zu blicken. Dadurch unterbrechen wir blinde Wiederholungen in unserem Leben. Der Weg, eine neue Dimension der Freiheit des eigenen Lebens zu gewinnen, führt über Selbsterkenntnis, Selbstbeobachtung und Achtsamkeit. Je freier das Bewusstsein von unbewussten Verstrickungen, massiven Wünschen, von Vorwürfen oder Hassgedanken ist, desto freier werden auch die Entscheidungen eines Menschen. Dann übernimmt nicht das autonome Unterbewusstsein, sondern ein neues Bewusstseins wieder das Kommando im Menschen.
Diese und noch viele andere Fragen werden in den folgenden Kapiteln betrachtet.
- Wie entsteht das Schicksal, glücklich oder unglücklich zu sein?
- Ist es nur unsere eigene Vergangenheit, die in unserem Leben wirkt?
- Weshalb ziehe ich immer wieder gebundene Partner an?
- Weshalb lerne ich nur schwache Partner oder Alkoholiker kennen?
- Weshalb sind meine Partner lieblos und verlassen mich?
- Meine Mutter hatte Krebs, ich habe Angst vor einem ähnlichen Schicksal!
- Warum verweigert meine Tochter jeden Kontakt mit mir, obwohl ich doch nur für sie gelebt habe?
- Warum kann ich mich nicht abgrenzen? Ich gebe viel und bekomme wenig zurück?
- Weshalb bin ich seit meiner Kindheit depressiv?
- Weshalb bin ich ständig unzufrieden mit mir? Ich mache mich klein und kritisiere mich.
- Können wir unser Schicksal beeinflussen? Es transformieren?
- Können wir unsere Gefühle verändern? Unsere Stimmungen? Wer erschafft diese Gefühle und Stimmungen?
- Können wir unseren Charakter, unser Schicksal verändern? Möchten Sie glücklich sein?
- Hätten Sie gerne Erfolg? Die meisten Menschen wünschen sich das zwar, wissen aber nicht, wie sie vorgehen sollen.
Dem menschlichen Bewusstsein stehen viele neue Möglichkeiten offen, einen wichtigen Teil seiner "Außenwelt" und damit seines Schicksals zu wählen. In der letzten Zeit wurde diese scheinbar unbegrenzte Welt der Möglichkeiten in vielen Büchern und Filmen angepriesen nach dem Motto "Wünsch dir was und das Universum sorgt für dich". Wir können jedoch nur die Sprünge machen, die zu unserem gegenwärtigen Lebensskript passen. Sind wir mit dem Schicksal einer Person verbunden, die viel verloren hat, dann tragen wir unbewusst mit dieser Person das Schicksal, auch dann, wenn wir uns bewusst Reichtum und Fülle wünschen. Wenn wir uns eine erfüllte, liebevolle Partnerschaft wünschen, jedoch in unserem Gedächtnis durch die Eltern oder durch eigenen Erfahrungen ein konfliktreiches Beziehungsbild gespeichert ist, dann wird dieser Wunsch nicht so leicht zu erfüllen sein, wie wenn wir innerlich ein harmonisches Beziehungsbild verankert haben. Die Wunscherfüllung aus dem Universum mag vielleicht für die Suche nach dem freien Wunschparkplatz gerade ausreichend sein, jedoch bleiben der oft angepriesene Reichtum, die Liebe, die Gesundheit, die nur darauf warten, von uns erwünscht zu werden, aus. Obwohl das Universum grundsätzlich unbegrenzt ist, begrenzt uns unsere Lebensgeschichte und die Art, wie wir die Welt sehen. Jedoch können wir selbst diese Grenzen enorm erweitern, indem wir lernen, unser Lebensskript durch bewusste Verarbeitung umzuschreiben.
Einführung
Es gibt ein Schicksal, dem wir nicht entkommen können. Es wird uns durch unsere Geburt und unseren Körper sowie durch die Schicksale in der Familie mitgegeben. Wir bekommen das Leben von unseren Eltern und sind dadurch in ein Familiensystem eingebunden, dessen Werte, Gedanken und Schicksale auf unser Leben großen Einfluss haben. Das Kind wird sozialisiert, die Werte der Familie sind für das Kind Gebot. Der Wunsch, sich selbst zu erkennen und sich in Liebe zu lösen, wird durch die Erfahrungen und Denkmuster der Eltern und deren Eltern begrenzt. Wir denken das über uns, was wir über uns gehört haben. Die Lebenseinstellungen der Eltern und wie sie uns gesehen haben, sind tief in uns verankert und wirken in unserem Leben weiter. So übernehmen und leben wir oft die Lebensmodelle der Eltern, ihre Ansichten über das Leben, aber auch ihre Ängste und Zweifel. Wir ahmen ihr Leben und ihr Schicksal nach.
Können wir alte Lebensmuster und Gewohnheiten ändern?
In meiner beratenden Tätigkeit höre ich immer wieder, dass sich Menschen von ihren Problemen lösen möchten, aber nicht wissen, wie sie damit beginnen sollen.
Die meisten sind in einem Bereich ihres Lebens unzufrieden. Sie haben Probleme im Job, in der Partnerschaft, mit den Kindern. Ihre Sorgen lassen sie nicht los und sie können stundenlang über ihre Probleme reden. Wenn ich sie frage, welche Lösungen sie sich vorstellen könnten, ernte ich meistens erstaunte, fragende Blicke. Viele Menschen sind so an ihr Leben - mit all den Problemen, Sorgen und Ängsten - gewöhnt, dass sie sich kaum vorstellen können, ein glückliches und zufriedenes Leben zu leben. Sie beklagen sich über die Lebensumstände, den Partner, über die mangelnde Anerkennung, die sie ernten. Sie erleben Trennungen, fühlen sich als Opfer und resignieren häufig. Andererseits können sie sich aber ein anderes Leben kaum vorstellen, wodurch sie sich in ihr Problem noch tiefer verstricken. Dabei vergessen sie, dass sie eine neue Wahl treffen könnten, durch die sie - und eben nur sie selbst - ihr Leben neu gestalten könnten. Ihre Denkprogramme formen ihr Leben. Ihre Gedanken sind mit Problemen, Zukunftsängsten usw. so sehr beschäftigt, dass sie zu keinen neuen kreativen Visionen fähig sind. Sehr viele Menschen sind darauf konditioniert sich zu sorgen. Oft versuchen sie ihrem Leben der Gegenwart durch Zukunftsgedanken zu entkommen. Sie finden viele Gründe, weshalb sie lieber in ihren traurigen Umständen weiterleben, und verschieben ihr neues Leben in die Zukunft.
Es lohnt sich, seine Vergangenheit zu erforschen. Viele Menschen resignieren und meinen, die Vergangenheit lässt sich ohnehin nicht ändern, und sie hoffen auf eine bessere Zukunft. Dass jedoch die Zukunft wiederum die Vergangenheit spiegelt, bedenken die meisten Unglücklichen nicht.
Denn die ungeheilte Vergangenheit erschafft wieder ihre Zukunft. Die geschilderten Lebensschicksale in diesem Buch sollen aufzeigen, dass Schicksal vom eigenen und vom unbewussten kollektiven Gewissen der Familie bestimmt wird, dem ein Mensch folgt, ohne zu wissen warum. Denn dieses unbewusste kollektive Gewissen richtet sich nach völlig anderen Gesetzen als das persönliche Gewissen. Aus dem Zusammenwirken des persönlichen bewussten Gewissens und dem unbewussten kollektiven Gewissen entsteht Schicksal, welches wir nicht steuern können, solange wir die Gesetzte des unbewussten kollektiven Gewissens und der Ordnung nicht verstanden haben.
Fallbeispiel: Ingeborg - Aufstellung Partnerschaft und Singleleben
Das Schicksal von Ingeborg kann dies veranschaulichen. Sie lehnte die Beziehung ihrer Eltern ab, sie verachtete ihren Vater für das, was er der Mutter angetan hat, und die Mutter dafür, dass sie bei ihm geblieben ist. Ingeborg ist 42 Jahre alt und sie sehnt sich nach einer erfüllenden Beziehung. Sie fragt sich, warum sie nie den Richtigen kennenlernt. Sie erlebte in ihrer ersten Ehe ein ähnliches Schicksal wie ihre Mutter: Ihr Mann war gewalttätig. Sie entschloss sich rasch zur Trennung. Seit 12 Jahren ist sie nun geschieden und sehnt sich nach einer liebevollen Partnerschaft. Es kommt jedoch kaum zu Kontakten. Ingeborg meint, wenn ein Mann interessant sei, dann sei er schon vergeben. Weshalb findet Ingeborg nur gebundene Partner interessant? Vielleicht vermeidet sie das Risiko einer neuen Bindung auf diesem Weg? Unbewusst wirken die Erfahrungen, die sie durch ihre Eltern gemacht hat, und ihre eigene Erfahrung in der Ehe abschreckend. Ingeborg kann mit ihrem bewussten Denken nicht verstehen, weshalb es kaum zu Kontakten kommt. Sie kann nicht glauben, dass sie unbewusst Angst vor Partnerschaften hat, obwohl sie sich doch bewusst eine Beziehung wünscht. Sind ihre bewussten Wünsche und ihr unbewusstes Wünschen im Einklang?
Eine kleine, verdeckte Aufstellung öffnete Ingeborg die Augen
Für die Aufstellung wurden zwei Personen und Inge selbst gewählt, die beiden anderen Personen wussten nicht, für wen sie aufgestellt wurden. Sie erhielten kleine verdeckte Kärtchen, auf denen stand, wen sie darstellten. Eine Person repräsentierte eine neue Partnerschaft, eine Person das Singleleben und eine Person Ingeborg selbst. Die Personen wurden in einem Dreieck zueinander gestellt. Ich forderte alle drei Personen auf, sich so zu bewegen, wie sie es fühlten. Ingeborg ging nach einigen Minuten zum Singleleben und meinte: "Hier bin ich gerne, da fühle ich mich wohl." Die beiden lächelten einander freundlich an. Die Person, welche die Partnerschaft darstellte, stand alleine und meinte: "Ich fühle mich überflüssig, niemand sieht mich an." Ich fragte Ingeborg, ob sie Interesse an dieser Person hätte. Sie meinte, dass sie diese Person nicht gerade uninteressant fände, aber sie würde nervös, wenn sie sie ansieht. Ich fragte nach, was passiert, wenn sie die Nervosität durchstände. Ingeborg stellte sich kurz zur Darstellerin der Partnerschaft, meinte aber bald: "Ich bekomme Angst, Herzklopfen und Schweißausbrüche, ich will wieder weg."
Durch diese Aufstellung erkannte Ingeborg, dass sie unbewusst Angst vor einer Partnerschaft hat, obwohl sie sich doch bewusst eine Partnerschaft wünscht.
Wie kann Ingeborg ihr Schicksal verändern? Wie kann sie die vorhandene Angst, die ihr bisher völlig unbewusst war, transformieren? Sie müsste sich mit ihrer Geschichte, ihrer Familie aussöhnen. Sie müsste ihrem Gehirn neue Informationen spiegeln, z. B. eine liebevolle Partnerschaft. Siehe Kapitel 9, "Gehirn und Genetik";
Ingeborg sieht die Männer mit den Augen ihrer Mutter und sie ist beeinflusst von dem, was sie selbst als Kind miterlebt hat. Mit dieser Erfahrung zog sie ihren ersten Mann an. Ihre Angst vor Männern ist jedoch so groß, dass sie unbewusst eine Vermeidungshaltung einnimmt. In Ingeborgs Gedächtnis sind all die schrecklichen Erfahrungen gespeichert, die verarbeitet werden wollen. Das morphogenetische Feld einer Familie wirkt blind auf die Mitglieder. Die Familie wirkt wie eine erweiterte Person auf unser Leben. Wer glaubt, sich mit seinem bewussten Willen dem entziehen zu können, täuscht sich.
Wir sehen die Welt mit dem Gedächtnis der Familie, den Erfahrungen vieler Generationen, auch wenn wir unsere Vorfahren nicht persönlich gekannt haben. Die Erfahrungen unserer Vorfahren haben eine Spur hinterlassen. Wir leben in der Illusion, ein freies Leben zu leben, und werden von einer gemeinsamen Kraft - dem Gedächtnis der Familie, dem morphogenetischen Feld - gesteuert.
Leiden ist leichter als lösen, sagt Bert Hellinger.
Wenn du weiterhin das tust, was du schon immer getan hast, wirst du weiterhin das bekommen, was du schon immer bekommen hast.
Karl Michael Pilsl
Gerald ist seit 8 Jahren geschieden und denkt, er sei frei! Er wundert sich, dass es keine Frau länger als drei Wochen neben ihm aushält, und seine Enttäuschung über die Frauen wird immer größer. Nach kurzer Beratungszeit mache ich Gerald aufmerksam, dass er in der Vergangenheit lebt. Er spricht oder besser gesagt schimpft ständig über seine Exfrau, er ist voll Trauer, Wut und Vorwurf. Er hat alles gegeben und sie hat ihn dennoch wegen eines anderen verlassen. Gerald ist noch nicht mit dem Schicksal ausgesöhnt, er geht mit seinen Gedanken seit acht Jahren immer wieder zurück und erschafft sein Leid täglich erneut. Ein wesentlicher Schritt wäre, die Exfrau endlich in seinen Gedanken in Frieden zu lassen und Eigenverantwortung für die Trennung zu übernehmen. Seinen eigenen Teil der Verantwortung zu übernehmen, lehnte Gerald noch immer strikt ab. Seine Exfrau sei alleine schuld, er habe alles gegeben und er sei sich keiner Schuld bewusst.
Sie habe ihnen keine weitere Chance gegeben, er hätte alles verändert, aber sie sei hart geblieben. Das hat er ihr bis heute nicht verziehen.
Ich hake nach und frage Gerald: "Was hättest du verändert, wenn sie dir eine Chance gegeben hätte?" "Dann hätte ich mehr Zeit mit ihr gemeinsam verbracht, mehr geredet, wir hätten regelmäßig Urlaub gemacht. Meine Frau hat mir oft vorgeworfen, dass ich nur arbeite und spare, aber ich habe doch alles nur für uns getan."
Wem verzeiht Gerald nicht?
Wenn wir die Rollenaufteilung in Geralds Ehe betrachten, wird rasch klar, wer hier bestimmte. Gerald verfügte ziemlich autoritär darüber, was mit "seinem Geld" geschehen sollte. Seine Frau war in einer eher machtlosen Position, sie verdiente nicht selbst und bettelte jahrelang um einen Urlaub oder ein wenig Zuwendung. Als die Frau in ihre Kraft ging und einen Neubeginn verweigerte, nahm sie damit Gerald die Möglichkeit zur Wiedergutmachung. Er blieb mit der Wut, seinen Schuldgefühlen und ohnmächtig (d. h. ohne Macht) zurück. Er wusste, dass er durch sein autoritäres Verhalten alles verspielt hatte. Anstelle von Einsicht und Selbstreflexion ging er in den Vorwurf. Dieser Vorwurf schützte ihn vor seinem Schmerz und vor seinen Schuldgefühlen. Verantwortung übernehmen hat damit zu tun, dass ich meine Lebensumstände - auch die unangenehmen - als meine eigene Kreation erkennen kann, die ich zwar nicht immer freiwillig erschaffen habe, die sich aber durch die Erfahrungen und Verstrickungen der Familie entwickelten. Die Erfahrungen in der Familie und in unserer Kindheit prägen unser Denken, unser Verhalten und fördern dadurch eine ähnliche Erwartungshaltung vom Leben, dadurch sind wir in Resonanz mit der Umwelt.
Gerald hat wie sein Vater brav gearbeitet, aber die Bedürfnisse seiner Exfrau nicht ernst genommen. Er hat bei seinen Eltern erlebt, dass die Mutter auf alles verzichtet und keine Ansprüche stellt. Er hat kaum gesehen, dass Vater und Mutter etwas gemeinsam unternahmen oder besprochen hätten.
Das Beziehungsverhalten seiner Eltern prägte sein Verhalten in der Ehe. Wenn seine Exfrau Wünsche aussprach, wurde sie nicht gehört, es kam meistens zum Streit. Irgendwann sagte sie nichts mehr und verließ ihn. Gerald verstand sie nicht, er war doch verlässlich, treu und fleißig, brachte sein Geld nach Hause.
Er erfüllte doch alles, wie "Mann" sein sollte. So hatte er es doch auch bei seinem Vater gesehen! Er ahmte in aller Unschuld nach, was ihm sein Vater und seine Mutter vorgelebt hatten, und fühlte sich gut und richtig dabei. Das Beziehungsmodell der Eltern ist im Gedächtnis von Gerald eingeprägt oder eingespiegelt. Er ist ein gehorsames Kind geblieben. Er machte es so wie seine Eltern und fühlte sich dabei sicher. Für Gerald war es ein wesentlicher Schritt, 8 Jahre nach der Scheidung seinen eigenen Anteil der Verantwortung zu übernehmen. Dieser Anteil bestand darin, Folgendes zu erkennen und auszusprechen: Er sagt bei der Familienaufstellung zur Stellvertreterin seiner Frau: "Ich habe dich nicht gehört und deine Bedürfnisse nicht ernst genommen. Ich habe mich nach dem Verhalten meiner Eltern orientiert.
Du hast mir viele Chancen gegeben, welche ich nicht wahrgenommen habe, dann war es zu spät. Es tut sehr weh, schade, dass ich es nicht früher erkannt habe. Das habe ich mir selbst nie verziehen.
Heute verzeihe ich mir selbst und schaue versöhnt zurück auf uns: Durch dich habe ich viel gelernt. Ich danke dir für unsere gemeinsame Zeit. Ich werde dich immer als meine erste Frau achten. Jetzt übernehme ich meinen Teil der Verantwortung und lasse deinen Teil bei dir. Bitte lass uns gute Eltern sein, in unseren Kindern sehe ich unsere Liebe."
Anschließend meinte Gerald: "Es war hart, aber wahr. Ich habe die Wahrheit gespürt in jedem Wort. Ich muss nur mir selbst verzeihen, meine Frau hat damit nichts mehr zu tun." All seine Ohnmacht und Schuldgefühle waren Gerald bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, er fühlte sich als Opfer und lebte im Vorwurf. Das Trennungsritual im Zuge der Familienaufstellung hilft ihm versöhnt zurückzuschauen. Gerald hat sich stets bei seinen neuen Partnerinnen über sein Schicksal beklagt. Die Frauen spürten, dass er nicht frei ist. Kein Wunder, dass ihn jede nach kurzer Zeit wieder verlassen hat.
Opfer bleiben geschwächt
Viele Menschen fühlen sich als Opfer des Schicksals. Sie meinen, den Umständen ohnmächtig ausgeliefert zu sein und haben nicht die Macht oder die Kraft, ihre Lage zu ändern. Vielen Menschen fehlt es an innerer und körperlicher Kraft sowie am Willen und an Selbstdisziplin, um diese Kraft aufzubauen. Ihnen fehlt die Energie, das in ihrem Leben zu erreichen, was sie möchten. Es fehlt ihnen die Ausdauer, die Aufmerksamkeit, um positive Energie zu halten und diese in die gewünschte Richtung zu lenken. Viele Menschen leben aber auch so sehr für die Bedürfnisse der anderen, dass sie ihre eigenen Ziele dabei vergessen haben.
Das Problem liegt aber nicht nur in der mangelnden Kraft und Ausdauer, sondern auch an mangelndem Wissen und Selbstbeobachtungsvermögen. Wenn ein Mensch erwacht ist und genügend Bewusstsein entwickelt hat, erkennt er, wie er selbst täglich seine Lebensumstände neu erschafft.
Er übernimmt gerne die Verantwortung, die er für sein Leben hat. Dieser Mensch bleibt aufmerksam und beginnt aktiv sein Schicksal zu formen. Er erkennt sich als Schöpfer anstatt als Opfer. Das Aufmerksamwerden erfordert täglich disziplinierte Übung. Der Mensch erkennt dann, dass er immer eine Wahl hat. Er achtet, worauf er seine Aufmerksamkeit, also seine Gedanken lenkt. Damit ein Mensch in seine Kraft gehen kann, ist ein wesentlicher Schritt nötig. Er muss mit seiner Vergangenheit aufräumen. In der Sucht zum Leiden erschafft er seine traurige Geschichte täglich neu und festigt seine traurigen Erfahrungen. Aussöhnung mit dem Leben bedeutet, die Bereitschaft zu haben, die eigene Geschichte loszulassen. Meist muss der Mensch dafür noch einmal in das Geschehen hinein und manches durchgehen, um seine Bedeutung zu verstehen. Dies geschieht in Familienaufstellungen, Psychotherapien und in Bewusstseinsseminaren.
Die Menschen fühlen sich oft unsicher. Sie wissen nicht, wie sie etwas verändern können. Sie sind an Glaubenssätze, die sie über das Leben gehört haben, gebunden. Nicht selten höre ich Glaubenssätze wie: "Es kommt nichts Besseres nach" oder "Man muss es nehmen, wie es kommt."
Menschen resignieren, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Schöpferkräfte einsetzen können. Es herrscht noch immer der weit verbreitete Glaube, dass sich ein Mensch nicht verändern kann und er ein bestimmtes Schicksal für sein Leben mitbekommen hat, dass seine Gene seinen Charakter formen und vielleicht ein mitgebrachtes schweres Karma sein Leben belastet. So meinte eine Klientin, sie müsse bei ihrem arbeitsscheuen und gewalttätigen Partner bleiben, da sie ein gemeinsames Karma tragen und sie ihm etwas aus einem anderen Leben schulde.
Bruce H. Lipton, Zellbiologe, sagt in seinem Buch "Intelligente Zellen": "Früher glaubte man, die DNS sei Ursache für körperliche Merkmale, Emotionen und Verhalten."
Dieser Glaube erschafft für die Klientin eine Opferrolle. Sie erlaubt es sich selbst nicht, ein anderes Leben zu leben. Sie erkennt jedoch nicht, dass sie mit diesem Glauben und mit ihren Gedanken schöpferisch tätig ist. Sie erschafft ihre Realität, an die sie glaubt. Würde sie sich vom Karma-Gedanken befreien, könnte sie ein völlig neues Leben erfahren. Ich vermute, irgendwann wurde für diese Frau der Karma-Gedanke ein Anker, um bleiben zu müssen. Er wirkt wie ein Knebel.
Etwas verändern wollen erfordert ein klares Ziel, einen starken Willen und den Glauben an sich selbst!
Die ersten Schritte in ein neues Leben bestehen im Annehmen dessen, was war. Dies gelingt meist dann, wenn wir unsere Lebenserfahrungen verarbeiten und uns mit ihnen aussöhnen können.
Wir können erst dann etwas verändern,
- wenn wir wissen, woher unsere Ansichten, Gedanken und Werte, die unser Schicksal formen, kommen...
- wenn wir überprüfen, was wir annehmen und gegebenenfalls abgeben wollen...
- wenn wir die Opferhaltung, einem Schicksal ausgeliefert zu sein, transformieren und uns selbst als göttliche schöpferische Wesen erkennen...
- wenn wir unsere Gedanken achtsam beobachten lernen...
- wenn wir erkennen, dass unsere Gedanken unsere Gefühle bestimmen und unsere Gefühle zu unseren Handlungen werden und unser Schicksal lenken...
- wenn wir das kollektive Schicksal der Familie und seine Wirkung in unserem Leben wahrnehmen...
- wenn wir die Fixierung auf das eigene persönliche Leben erweitern und den Blick auf das ganze Familiensystem richten...
- wenn wir nicht einfach mitschwimmen im Fluss der Schicksale und Gedanken, sondern heraussteigen...
Das ist möglich, wenn wir eine Metaebene einnehmen, z. B., wenn wir vom Ufer aus betrachten, uns und alle anderen achtsam wahrnehmen. Wir können die Metaebene einnehmen, indem wir uns selbst beobachten. Das beobachtende, achtsame Gehirn kann eine neue Wahl treffen. Immer mehr Menschen erwachen aus ihrer Opferrolle und fragen, was kann ich tun, um glücklicher und zufriedener zu werden. Sie wollen ihr Schicksal in die Hand nehmen, ihre Verstrickungen, Programme und Muster durchschauen und auflösen. Sie sind bereit, aktiv zu werden und Verantwortung für die erwünschten Veränderungen in ihrem Leben zu übernehmen.
Bruce Lipton sagt in seinem Buch "Intelligente Zellen", S. 15: "Es gibt einen Weg weg vom Job als "Dauer-Opfer" zum Mitgestalter des eigenen Schicksals. Man kann das Drehbuch des Lebens umschreiben." ... "Wissen ist Macht. Das Wissen über uns selbst verleiht uns die Macht über uns selbst." ... Wir sind nicht Opfer unserer Gene, wir sind Meister unseres Schicksals.
Familienaufstellungen ermöglichen einen Einblick in die Hintergründe von Schicksalen. Sie zeigen uns, wo wir mit unserem unbewussten Gewissen und bewussten Wollen stehen. Es wird sichtbar, ob wir in unserem eigenen Leben agieren können, oder ob wir gegen unseren bewussten Wunsch vom kollektiven Gewissen in Anspruch genommen werden.
Familienaufstellungen dienen der Versöhnung, sie geben uns die Chance, unseren eigenen Platz zu nehmen und die Ordnung herzustellen, die wir meistens, ohne es zu wissen, verletzen mussten.
Dieses Buch ist für Menschen geschrieben, die ihr Schicksal erkennen und in die Hand nehmen wollen, für die, die Verstrickungen in ihrer Familie besser verstehen und lösen wollen.
Wenn Sie zu den Menschen gehören,
- die das Gefühl haben, in ihren Lebensmustern festzustecken oder nicht das Leben führen zu können, das sie möchten...
- die ihr Schicksal anklagen oder hinterfragen, wie es entstanden sein könnte...
- die das Gefühl haben, dass ihr Leben überwiegend fremdbestimmt ist...
- die etwas verändern möchten, aber es fehlt der Mut oder das Ziel...
- die glauben, dass sie ihr Leben nicht verändern können und die Veränderung durch die Umwelt geschehen sollte...
- die immer wieder ähnliche Erfahrungen mit Partnern oder der Umwelt machen...
- die sich ausgegrenzt, ungeliebt fühlen...
- die Mobbing erleben...
- die in Vorwürfen gegenüber den Eltern oder Ex-Partnern leben...
- die Burn-out gefährdet sind...